Volksbefragung – Eine Analyse aus der Sicht eines unter 30 jährigen
Das Hauptmotiv der Stimmberechtigten war zweifellos, den (Zwangs-) Zivildienst beizubehalten (d.h. es ging gar nicht so sehr um die Wehrpflicht) Die stärksten Befürworter des bestehenden Systems war die ältere Generation. Die von der Zwangsarbeit (Wehrpflicht und Zivildienstpflicht) betroffenen jungen Männer wurden klar überstimmt.
Gedanken zur Volksbefragung über den verpflichtenden Wehrdienst:
Aus gegebenem Anlass (ich verweile derzeit aus Studienzwecken für ein halbes Jahr in Paris) möchte ich meine Gedanken zum Abstimmungsergebnis der Volksbefragung vom 20.1.2013 aus zwei Sichtweisen beschreiben.
- die österreichische: Von Österreich aus betrachtet ist das Ergebnis wohl wenig überraschend, da ja die Umfragewerte Ähnliches prophezeit hatten. Über die spürbaren Reaktionen im Land und in der Gesellschaft kann ich zwar nur mutmaßen, ich denke aber, dass sie wie folgt ausgesehen haben:
Diejenigen, die gegen die Wehrpflicht gestimmt hatten, haben wohl nach ersten frustrierten Kurzschluss-Wutanfällen versucht, sich heimlich, still und leise aus der Affäre zu ziehen. Die Spaltung in der SPÖ, die im Vorfeld dieser Volksbefragung bereits spürbar war, ist wohl um einen Keil reicher geworden.
Der andere, größere Teil der Gesellschaft, der sich für die Beibehaltung ausgesprochen hatte, sieht sich bestätigt. Obwohl die meisten Leute das derzeitige System als reformbedürftig erachten, schien das propagierte Modell des Berufsheeres als zu unausgegoren. Der Beweggrund, für die Wehrpflicht abzustimmen war also entweder parteipolitisch motiviert oder Feigheit und die Befürchtung, dass die handelnden Personen die gewünschten Reformen nicht zustande bringen würden. - die eines/einer fiktiven Franzosen/Französin: Von einer gewissen Distanz betrachtet, ist das Ergebnis ein Armutszeugnis der österreichischen Gesellschaft.
Für Franzosen und Französinnen ist Österreich ohnehin ein sehr altmodisches Land. Für sie ist zum Beispiel die Ballsaison, die ja einen sehr hohen Stellenwert z.B. im Selbstverständnis der Wienerinnen und Wiener hat, ein Relikt des 19. Jhdt. und die Gespräche, die ich hier in Paris im Vorfeld zum Thema Wehrpflicht geführt hatte, erzeugten großes Erstaunen darüber, wie veraltet das österreichische System diesbezüglich ist. Einige meiner GesprächspartnerInnen konnten einfach nicht glauben, dass es in Mitteleuropa noch einen Staat gibt, der erstens seine 18-jährigen Bürger zu einem halben Jahr Kriegsspiel zwingt (das sich im Endeffekt eh als ein bisschen Schikane und vor allem als Sauftraining entpuppt), und zweitens dieses Gesetz nur für den männlichen Teil der Bevölkerung geltend macht.
Auch diese in der Verfassung verankerte Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ist für viele Nicht-ÖsterreicherInnen ein Anachronismus der übelsten Art.
Für mich, der ich momentan irgendwo zwischen diesen beiden Sichtweisen feststecke, zeigt das Abstimmungsergebnis vor allem eines: Die Demokratie-Unfähigkeit der österreichischen Bevölkerung. Und damit meine ich nicht die „technische“ Unfähigkeit (ich weiß schon, dass bei über 50% Wahlbeteiligung die Spatzen überall von den Dächern pfeifen, wie sehr denn in Österreich von der Bevölkerung politisch partizipiert werde). Nein, ich meine die intellektuelle Unfähigkeit. Das Volk bekommt die Chance, verpflichtend über eines der größten Übel unserer Gesellschaft zu entscheiden, und schafft es nicht, eine ehrliche und ernsthafte Diskussion darüber zu führen.
Man driftet im öffentlichen Disput immer weiter von der eigentlichen Fragestellung ab und verläuft sich stattdessen entweder in einen parteipolitisch orientierten Gesprächssumpf oder in Zivildienst- und Neutralitätsdebatten, die eigentlich gar nicht Thema sind.
Natürlich waren die Umstände, unter denen es zu dieser Befragung gekommen ist, nicht die besten. Und natürlich hätte die SPÖ früher beginnen können, der Bevölkerung ihr Modell greifbarer und anschaulicher zu machen. Das hätte aber auch nichts daran geändert, dass es eine Abstimmung war zwischen einem vertrauten System und einem progressiven.
Von dieser Sichtweise betrachtet, wäre eine Stimme gegen die Wehrpflicht gleichsam eine Stimme gegen den gesellschaftlichen Stillstand gewesen. Und ich bleibe dabei: Seit dieser Volksbefragung kann man nicht mehr nur den PolitikerInnen die Schuld am Verfall der politischen Kultur in den letzten Jahren geben. Dieser Verfall scheint beinahe definierender Wesenszug der österreichischen Gesprächskultur von heute zu sein. In einer echten, funktionierenden Demokratie wären wir ja alle politisch handelnde Individuen (und zwar nicht nur im physischen Sinne)! Von diesem Selbstverständnis sind Herr und Frau Österreicher aber weit entfernt. Wir verspüren offensichtlich Lust daran, unsere eigene (männliche) Jugend zu geißeln und ihr ein völlig verqueres Weltbild einzutrichtern, à la „wir brauchen uns was selbstauslösende Sprengfallen betrifft nicht an die Haager Landkriegsordnung halten, weil der Russe da im Ernstfall auch nicht lange fackeln würde“ (sic!).
Dass man diesen und ähnlichen Stumpfsinn in der Grundausbildung zu lernen hat, ist einer der vielen Skandale und Missstände im und um das Bundesheer, denen wir nun wohl auch in Zukunft ausgeliefert sein werden.
Dietmar Groiss jun.